Wer Italien mag, der mag auch Umbrien. Es ist Italien pur, unverfälscht und für Radfahrer eine heftige Angelegenheit. In Umbrien rauschen keine Meereswellen sondern die Wälder. Hier blühen keine Zitronen sondern Heiligenlegenden. Es ist ein Land von sprödem verhaltenem Charakter. Wir sind nicht so begeistert zurückgekommen, wie von manch anderer Italientour, dafür umso beeindruckter von der noch sehr ursprünglichen Welt. Manches dort hat uns bestimmt nicht das letzte Mal gesehen.
Das grüne Herz Italiens, wie Umbrien sich gerne nennt, muss allerdings erobert werden. Zunächst mit viel Muskelkraft, denn es besteht zu über 90% aus Hügelland und hohen, bewaldeten Bergketten. Und jede Stadt, die es zu besichtigen lohnt , dann nochmals, denn sie liegt garantiert auf einem Hügel oder an einem Berghang. Und auch gefühlsmäßig: Es dauert eine Weile, bis man sich in düsteren, engen Gassen mit Häusern aus grauem Stein wohlfühlt und den Charme der mittelalterlichen Piazza mit ihren mächtigen Palazzi erkennt.
Für diejenigen, die diese Tour oder Teile davon nachfahren wollen, gibt es den kompletten Tourenverlauf mit Streckenbeschreibung sowie mit Anmerkungen und Verbesserungsvorschlägen.
Das alte Etruskerstädtchen Cortona, noch in der Toscana an der Grenze zu Umbrien gelegen, ist ein guter Ausgangspunkt, um den ersten Hügelkamm ins umbrische Tibertal zu nehmen. Man hat gute Anreisemöglichkeit mit dem Zug von Florenz oder Arezzo oder nimmt die leichte Einsteigertour durch das weite Chiana-Tal. Nur zum Schluss geht's schon mal hoch. 400 Hm für eine sehenswerte Stadt am Hang, die sich lohnen. Es werden nicht die letzten sein. Kleiner Tipp am Rande: Die Nordauffahrt mit Steigungen über 10 % sollten Genussradler meiden, die etwas verkehrsreichere, aber in Serpentinen ansteigenden Auffahrt von Camucia ist herzverträglicher.
Das nordumbrische Hügelland um Gubbio wirkt alles andere als mediterran. Anstelle von Olivenbäumen und Weinstöcken bedecken Wiesen, Weiden und vor allem Wälder aus Eichen, Erlen und Pappeln die Bergflanken. Meidet man das zersiedelte, industrialisierte Tibertal, so hat man den Weg von der Osttoskana über Montone, Pietralunga nach Gubbio für sich alleine.
Vielleicht mehr als jeder andere Ort verkörpert Gubbio noch heute das Idealbild der mittelalterlichen Stadt. Und das wissen wohl auch die vielen Tagesausflügler, die tagsüber die Stadt bevölkern. Abends ist die Altstadt dagegen leer, ohne dass man sich in ihr wohlfühlt. Das Zentrum ist kaum bevölkert, dementsprechend ohne viel Leben. Die grauen, engstehenden Häuser wirken bedrückend, die am Tage so imposanten Palazzi düster.
Viel besser hat uns da das kleine Städtchen Montone gefallen, das wir auf dem Weg nach Gubbio fast zufällig gefunden haben und wo wir gleich für eine Nacht geblieben sind. Eine kleine Piazza mit alten hellgelben Häusern, eine intakte Stadtmauer, von der man herrliche Ausblicke genießt...
Einziger Wermutstropfen: 350 zusätzliche Höhenmeter.
Umbrien scheint nicht unbedingt für Radfahrer erfunden worden zu sein. Das weiß jeder, der zu diesem Zweck hierher kommt. 500 Hm hat jede unserer Touren im Durchschnitt, 1.000 Hm die anstrengenderen. Die Landschaft ist insgesamt gröber strukturiert. Man muss höher hinauf, aber nicht unbedingt schwerer fahren, da gerade die Passtraßen oft in gleichmäßiger Steigung angelegt sind. Der Wald spendet oft angenehmen Schatten. Umbrien ist sehr gering besiedelt, so dass man sich darauf einstellen muss, auf der Tour kaum ein Örtchen mit einer Bar anzutreffen.
Den üblichen Autoverkehr kann man fast immer umgehen und wo nicht, da ist er sehr rücksichtsvoll.
Umbrien hat uns auch aus der Radlerperspektive gut gefallen, man wird mit grandiosen Ausblicken für jede Anstrengung belohnt und trifft immer nur freundliche, hilfsbereite Menschen, die Touristen noch als willkommene Bereicherung erleben. Nicht zuletzt ist es ein günstiges Urlaubsgebiet.
Bei dem Namen Norcia denken Italiener angeblich an Schweinswürste, Linsen und Trüffel. Wir denken dagegen an eine reizvolle Kleinstadt, die in einer weiten Ebene am Fuß der sibillinischen Berge gelegen zu unserem Lieblingsort in Umbrien wurde.
Aufgrund der vielen Erdbeben ist die Stadt in seiner Geschichte oft zerstört und wiederaufgebaut worden. Seit 1859 dürfen die Häuser nicht höher als 12,50 m und vor allem nur mit größerem Abstand voneinander gebaut werden. Dadurch verliert die Stadt das in Umbrien übliche mittelalterliche Gepräge. Platz, Farben und Lebendigkeit kehren dafür ein.
Das genießt man z.B. auf der Piazza San Benedetto, die von einem wunderschönen Ensemble aus dem Palazzo Comunale, der Castellina und dem Duomo S. Benedetto umrahmt wird.
In der ökologisch noch weitgehend intakten Wald- und Weidelandschaft werden tatsächlich hochwertige Lebensmittel produziert: Viele Sorten Gemüse, wunderbarer Pecorino-Käse und die etlichen Wurst und Fleischprodukte. Unser Rat: Alles probieren!
Nicht zuletzt ist Norcia der Ausgangspunkt für die Touren in die nahen Monti Sibillini und davon sollte man mehrere machen. Ob zu Fuß, mit dem Rad oder notfalls auch mit dem Auto ist eine Tour auf die fast 1.500 m hohe Hochebene Piano grande di Castelluccio ein unvergessliches Erlebnis. Die kahlen Berge - unten noch mit sattem Grün überzogen, oben majestätisch grau - bieten ein einzigartiges Panorama für etwas ganz Unerwartetes. Nach fast 1.000 Hm kurvenreicher, aber nicht zu anstrengender Auffahrt mit großartigen Ausblicken auf die Ebene von Norcia und die umgebende Bergwelt muss man sich über eine letzte Klippe quälen... und eine weite, menschenleere Ebene tut sich auf. Kaum ein Haus oder ein Baum stehen in der 10 km x 2 km Ebene, die als ehemaliger eiszeitlicher See heute als Weideland genutzt wird.
In der Mitte liegt Castelluccio, eines der höchst gelegenen dauerhaft besiedelten Dörfer Italiens. Drum herum blüht ab Juni ein prächtiges Blütenmeer: Erst gelb, dann rot, dann lila. Besondere Spezialität: Die kleinen Lenticchie - aromatische Linsen.
Muss man da unbedingt hinauf? Nöö, aber wer nicht oben war, hat einen der schönsten Teile Umbriens verpasst. Uns hat das stürmische Wetter bei dieser Tour die Abfahrt in die Ebene noch verwehrt. 2 Jahre später dagegen haben wir den Piano grande extra in unsere Abruzzentour eingebaut - und es hat sich mehr als gelohnt.
Todi: Diese Treppe ist Elisabeth Taylor als Kleopatra herabstolziert, in den Gassen der Stadt spielt der Film "Im Namen der Rose". Vielleicht rührt daher der besondere Ruf Todis als lebenswerteste Stadt.
Wir sahen das etwas Nüchterner. Todi, auf einem 400 m hohen Hügel über dem Tibertal gelegen, ist ohne Zweifel schön platziert, hat schöne Ecken und eine herausragende Piazza del populo. Aber das gilt auch für etliche andere Städte Umbriens. Wer zuviel erwartet, wird enttäuscht sein. Also ruhig mal hin, aber ohne überzogene Vorstellungen.
Was man sich ganz sparen kann, ist für unseren Geschmack Orvieto, der pure Touri-Nepp um einen einzigen Dom.
Valnerina ist für uns das Synonym für eine der bezauberndsten Flusslandschaften Italiens geworden. Das kleine Flüsschen Nera bahnt sich zwischen steilen, dunkelgrün bewaldeten Bergrücken seinen Weg aus dem Appenin heraus nach Süden. In der Talaue erstrecken sich kleine Wiesen und Gärtchen, an den Hängen kleben kleine Örtchen. Es geht immer bergab mit wenig Autoverkehr, so dass wir diese Etappe sehr erholsam empfanden.
Perugia ist zurecht die Hauptstadt Umbriens. Eine junge Stadt in alten Gemäuern, die als einzige Großstadt wirklich viel bietet. Vor allem die zahlreichen Studenten, die große autofreie Innenstadt und das lebendige Geschäftsleben der kleinen Negozii prägen das Stadtbild und vermitteln großstädtisches Flair. Ungewöhnlich und gleichzeitig attraktiv sind die viele Scale mobili (Rolltreppen), die den Besucher mühelos die Hügel Richtung Innenstadt zum Corso Vanucci erklimmen lassen. Hier lohnt sich ein Tag Zwischenstopp.
Was wäre Umbrien ohne Assisi? Oder besser gefragt: Muss man sich diesen klerikalen Rummel wirklich antun?
Im Nachhinein betrachtet nein. Daran vorbeizufahren und einen Blick auf das Convento zu werfen, reicht aus. Wenn man schon in der Valle Umbra unterwegs ist, dann lohnen andere Ziele. Das kleine Städtchen Bevagna, die am Hang gelegenen Montefalco und Trevi und vor allem Spoleto.
Spoleto, das am Ende der Valle Umbra auf einem Hügel zwischen zwei Tälern liegt, stellt den Übergang zur Gebirgswelt Umbriens dar. Der schöne, angenehm zu fahrender Pass Forca di Cerro (ca. 700 Hm) trennt es von der Valnerina.
Uns hat nicht nur die Landschaft, sondern auch die Stadt selbst gefallen, die auf übereinandergelegenen Etagen gebaut ist. Schön neben der Rocca mit seiner Passegiata natürlich der Duomo und die vielen kleinen belebten Plätze in der Oberstadt: Piazza mercato, Piazza della Liberta...
Am Lago Trasimeno muss man sich im Sommer vor allem an eines gewöhnen - an die riechbare Veralgung des Sees. Zum Radeln ist es ein harmloses Terrain, die Uferstraße führt vor allem an der Nordostseite durch nahe am See gelegene, hübsche, aber doch stark touristisch ausgerichtete Örtchen. Radfahren nach 10 Tagen Hügelland und Gebirgstouren war o.k., nur Baden würden wir dort nicht noch einmal.
Wer nach 10 Tagen Umbrien per Rad noch ein paar Tage Entspannung am Wasser sucht, dem sei der Lago di Bolsena empfohlen, der nur 20 km südlich von Orvieto liegt.