Appenin - dove il tempo non corre!

Ob die Zeit in diesem entlegenen Eck zwischen der Emilia Romagna, der nordwestlichen Toskana und dem Südzipfel Liguriens im täglichen Leben "nicht rennt", sei einmal dahingestellt. Auf zwei Rädern verrinnt sie jedoch wie im Flug. Wir haben uns in 10 Tagen dieses von mächtigen Bergrücken, bizarren Felsformationen, tiefen Wälder, Seen und Schluchten und dem trennenden Tal des Fiume Serchio durchzogene Gebiet per Velo erschlossen, das auf den ersten Blick so gar nicht ins Bild Italiens passt.

Größter Vorbehalt und größter Vorteil dieses Landstriches ist seine Unbekanntheit . So findet man bei der Vorbereitung auch im Internet kaum Informationen darüber und trifft während der Tour keinen einzigen Tourenradler. Vorort lässt sich jedoch mit etwas Sprachkenntnissen alles finden und klären.

Für diejenigen, die diese Tour oder Teile davon nachfahren wollen, gibt es auf einer extra Seite den kompletten Tourenverlauf mit Streckenbeschreibung sowie mit Anmerkungen und Verbesserungsvorschlägen. Und natürlich gibt es auch zu dieser Tour ein Fotoalbum.

Schnell der Poebene entfliehen, heißt es zunächst, wenn man wie wir die Tour in Bologna oder Reggio di Emilia beginnt. Denn hier ist es heiß, dunstig, stickig und voller Autos. Das wird schon besser, wenn man die ersten Höhenmeter erklommen und 20 km Richtung Süden gefahren ist. Nur muss man sich von Beginn an die richtige Route heraussuchen. Es stehen zur Querung des Apennin im wesentlichen drei Pässe zur Auswahl: Der Passo di Cerreto (1261 Hm) ist stark befahren und die SS 63 stark für den LKW-Verkehr ausgelegt. Sehr gut fährt man als Radler dagegen auf den Strassen hin zum Passo delle Radici (1529 Hm). Die SS 486 ist landschaftlich sehr ansprechend geführt und relativ wenig befahren. Den Passo d'Abetone haben wir nicht gesehen. Auf jeden Fall geht es zunächst einmal treppauf, in unterschiedlich hohen Stufen und manchmal auch mit einem Zwischenschritt, aber immer begleitet von Sehenswertem am Wegesrand.

Die Passhöhe lockt mit Cappuccino und Tagliatelle ai funghi
Die Passhöhe lockt mit Cappuccino und Tagliatelle ai funghi

Der Passo delle Radici gehört zu den Klassikern des Giro d'Italia, wohl aber nicht zu den schwersten dieser Rundfahrt. Es bietet sich an, ihn in 2 Etappen zu fahren und in erfrischender Höhe von 700 - 1.000 m eine Übernachtung einzulegen. Wir haben das in Civago, einem kleinen Wintersportort getan, im Nachhinein wäre der nicht weit entfernte Ort Pievepelago wohl etwas lebhafter und schöner gewesen.

 

Die wesentlichen Teile des hier beschriebenen Apennins gehören zu den Provinzen Reggio Emilia und Modena. Unterkünfte gibt es genügend. Hier die Links zu den Auflistungen der Unterkünfte in der Region Reggio Emilia und Modena.

Auf dem Pass selbst gibt es ein Albergo mit Ristorante.

San Pellegrino in Alpe
San Pellegrino in Alpe

 Wenn man dann schon einmal oben ist, sollte man sich vom Pass nochmals 100 Höhenmeter weiterquälen. Über den Kamm Richtung Serchio-Tal nämlich, wo auf einem Felssporn in 1.700 m Höhe ein kleiner Weiler namens San Pellegrino in Alpe auf einem wartet - mit fantastischen Ausblicken ins Serchiotal.

Dieses beliebte Ausflugsziel der Bewohner der Region Lucca und der Garfagnana ist ein einladender Standort, um einen Tag das Rad mal stehen zu lassen und das gut ausgezeichnete Wandernetz des Alpenvereins zu nutzen. Hotels und Gastronomie sind vorhanden, schöne Fernblicke von der "Ortsmitte" aus. Kurz unterhalb des Dorfes eröffnen sich herrliche Blicke auf die umgebenden grünen Gipfel des Apennins wie auch auf die gegenüberliegenden Kämme der Apuanischen Alpen. Spaziergänge durch Wiesenblumen, Kastanienwälder mit allerlei Waldbeeren begeistern einem mindestens für einen Tag.

Am Tag darauf wartet dann eine berauschende Abfahrt auf die geschundenen Glieder. Lange Kleidung nicht vergessen, denn mit zum Teil 18 % geht es 15 km lang auf aussichtsreicher Straße bergab, immer mit weitem Blick auf die Corona der apuanischen Alpen und ins Serchiotal. Erstes größeres Städtchen ist Pieve Fosciana, ein möglicher Standort für weitere Touren

Tal des Torrente Turrite mit Blick auf den Pania della Croce
Tal des Torrente Turrite mit Blick auf den Pania della Croce

Die Garfagnana nennt sich das Flusstal des Serchio, der sich tief zwischen die Ausläufer des Apennin und der Apuanischen Alpen eingegraben hat. Es ist ein fruchtbarer Streifen, der die Landschaft vor allem durch seine vielen Zuflüsse modelliert hat. Gebirgsbäche, oft zu Stauseen aufgeweitet, bewaldete Höhenzüge, schroffe Felswände imponieren genauso wie kleine Örtchen, die etwas abgeschieden und vom Tourismus noch verschont auf Hochflächen oder am Wegesrand liegen. Die Landschaft ist nicht unbedingt spektakulär sondern einfach schön.

Idealer Standort für die vielen Ausflugsmöglichkeiten, die sich in der Garfagnana bieten, ist Castelnuovo di Garfagnana, ein mittelgroßes Städtchen mit 6.500 Einwohnern, angeblich ein Quartier der Wandertouristen. Wir haben nur wenige angetroffen. Die Altstadt ist durch die Flussarme des Serchio und des Torrente Turrite zerschnitten und mit vielen Brücken und Brückchen versehen. Sehr sympathisches, authentisches und auch preisgünstiges Quartier. Praktisch für eine Abwechslung: die gute und schnelle Eisenbahnverbindung nach Lucca.

Chiesa San Michele
Chiesa San Michele

Lucca wird zurecht die Schöne unter den toskanischen Großstädten genannt. Innerhalb der wallartigen, 4,5 km langen Stadtmauer, die zu einer breiten Naherholungszone ausgebaut ist, findet sich das wohl besterhaltene und größte Centro storico der Toscana. In den verwinkelten Gassen gibt es viel zu entdecken: Paläste, etliche Kirchen, Türme, einladende Plätze und schöne Gärten. Der Verkehr bleibt weitgehend ante portas, Bummeln und Shopping ist angesagt.

Amphiteatro
Amphiteatro

Wenn man mit dem Rad da ist, ist eine Fahrt auf dem Stadtwall unbedingt empfehlenswert. Der Wall ist oben mit einer Straße versehen. Vor dem Panorama der Pisaner Berge bzw. der apuanischen Alpen hat man einen herrlichen Überblick über die Stadt.

Isola Santa
Isola Santa

Isola Santa ist so ein Ziel, das man nach 1 1/2 Stunden eher gemütlichem Bergauf-Radeln von Castelnuovo aus erreicht. Am Ufer des kleinen Stausees, der malerisch vor dem Dolomitenähnlichen Panorama der apuanischen Alpen liegt, ein quasi verlassenes Dorf, das sich im grünen Wasser des Turrite spiegelt. Quasi: Ein Ristorante und eine Bar gibt's - wie überall natürlich (allerdings Martedi chiuso!).

Genauso lohnenswert ist ein Ausflug an den Lago di Vagli, der touristisch schon mehr erschlossen ist.

Von den vielen Städtchen und Dörfern, die auf beiden Seiten des Tals liegen, ist Barga das interessanteste und leicht mit dem Rad zu erreichen. Das schönste Tal ist das des Torrente Turrite, das ab Galicano zur Grotta del Vento führt.

Am Passo del Vestito,  im Rücken die "schneebedeckten" Marmorberge
Am Passo del Vestito, im Rücken die "schneebedeckten" Marmorberge

Die Grenze zur Provincia di Massa-Carrara stellt das Highlight der Tour durch so viele Berge dar. Der Weg aus dem Serchiotal über die apuanischen Alpen ans Meer führt über die Isola Santa zum Passo del Vestito (1.035 Hm) mitten in die Marmorberge von Carrara. Das muss man gefahren sein!

Bis Isola Santa geht es nicht sehr steil und ohne jeden störenden Begleitverkehr nach oben, dann erheben sich die nackten Felsriesen über die bewaldeten Hügeln, die den Pedalisten zu einem Griff in die Energiereserven zwingen. Allerdings nicht lange, denn die ganze Auffahrt ist in 2 Stunden bewältigt. Misslich sind wenige unbeleuchtete, nasse Tunnel mit schlechter Fahrbahn. Nach einem letzten solchen tut sich dann der faszinierende Blick auf die Versiliaküste auf. Daneben glänzen die wie von Schnee überzogenen, weißen Marmorberge von Carrara, in deren Steinbrüche man auf gleicher Höhe direkt hineinsieht.

Die Abfahrt ist eine der schönsten, die wir in Italien gefahren sind. Nicht alleine wegen der Sicht aufs Meer und die Landzunge, die bis nach Portovenere am Südzipfel von Ligurien reicht, sondern vor allem wegen der schönen Strecke, die von Olivenhaine, Palmen gesäumt durch kleine, anmutige Dörfchen auf nur von (Renn)radlern befahrener Straße bergab führt.

Carrara
Carrara

Carrara und seine Marmorbrüche kennt jeder, aber meist nur vom Namen her. Wie reizvoll diese Stadt wirklich ist, weiß in der Regel kaum einer. Große klassizistische Bauwerke mischen sich mit den Relikten des Mittelalters. Herauskommt eine geschäftige Stadt, die an vielen Plätzen nicht den seltenen Touristen, sondern der eigenen Bevölkerung ein anmutiges Leben und Wohnen bietet. Imposant ist der allgegenwärtige Marmor, vor allem wenn die zimmergroßen Blöcke auf den Rücken von Lkws durch den Ort rollen.

 

Der Blick auf die angenagten Kanten der Berge ist vor allem ein abendliches Schauspiel, glänzen die Reste des Marmorabbaus doch wie Schnee.

Tellaro
Tellaro

Zum Abschluss noch ans Meer? Dann aber bitte nicht in die Ölsardinenbüchse, die sich 100 km als toskanische Riviera von Viareggio bis Marina di Carrara erstreckt! Sondern fahren Sie doch schnell um die Ecke, 40 km oberhalb von Carrara und eine kleine Hügelkette entfernt liegt der Golfo di Poeti mit den schönen Orten Lerici und vor allem Tellaro.

Lerici , Golfo dei Poeti
Lerici , Golfo dei Poeti

In Lerici ist bereits der Großtourismus mit all seinen unschönen Kehrseiten eingezogen, in Tellaro dagegen kann man noch auf der Bootsrampe (und ohne 7 € Eintrittsgebühr) ins Wasser. Wer die Cinque Terre kennt, wird sich hier wohlfühlen.

Es gibt für uns ja bekanntlich viele gute Gründe, einen Radurlaub jenseits der Alpen zu verbringen. Dieses Mal war es ein ganz banaler: das Wetter. Während Deutschland im Juli von einer Schafskälte mit dauernden Regengüssen heimgesucht wurde, die Alpenpässe schon fast wieder in Schnee versanken, hatten wir schnell umorganisiert und sind ad hoc diese Tour gefahren: 10 schöne Tage, nicht zu heiß und immer etwas Wind. Obwohl im wahrsten Sinn des Wortes nichts organisiert war, haben einen der anstrengendsten und schönsten Toururlaube in Italien erlebt. Unser Resümee - sehr empfehlenswert!