Südliche Abruzzen und Molise - terra sconosciuta - unbekanntes Land!

Ursprünglich planten wir eine Fortsetzung unsere Abruzzentour von 2005. Aber es wurde eine ganz andere Tour. Denn die Landschaft wechselt unterhalb von L'Aquila vollständig ihr Gesicht. Es dominieren nicht mehr die majestätisch kahlen Riesen des Grand Sasso. Vielmehr kommt man in die ausgedehnten Waldgebiete der Bären, Wölfe und Luchse oder in die karge Felslandschaft des M. Velino oder von einem blaugrünen Stausee zum nächsten oder gar in die liebliche Hügelwelt des Molise. Was wir in den 14 Tagen erkundet haben, lässt sich nicht auf einen Nenner bringen, es ist zu verschieden. Nur eines hat es gemeinsam: Es ist eine unbekannte Welt, die Touristen normalerweise unerschlossen bleibt.

Wie immer gibt es für diejenigen, die diese Tour oder Teile davon nachfahren wollen, eine extra Seite, die den kompletten Tourenverlauf mit Streckenbeschreibung, Höhenprofile, Übernachtungen und Ristoranti sowie persönliche Anmerkungen speziell für Radler enthält. Dort eingebunden sind der Großteil der Fotos unserer Tour. Daneben gibt es noch ein separates Fotoalbum zum schnellen Durchblättern.

Nichts war es mit der von uns so geliebten Anreise per Zug. Die Bahn hat 2007 den Nachtzug München - Ancona - Pescara komplett gestrichen und uns zu einem Anreiseabenteuer gezwungen. Da Fliegen mit dem eigenem Rad im Gepäck uns immer noch schreckt, blieb uns nur die Möglichkeit, mit dem Nachtzug bis nach Bologna zu fahren. Dort haben wir uns ein Auto geliehen und haben den Rest der Strecke mit den Rädern im Kofferraum zurückgelegt. In Chieti haben wir das Auto gerade noch rechtzeitig vor der langen Siesta zurückgegeben und konnten endlich mit dem Radfahren beginnen. Das war umständlich und teuer, aber letztendlich doch zielführend. Nochmals würden wir das wahrscheinlich nicht mehr machen.

Aber wie das nebenstehendem Foto zeigt, werden in unserer Urlaubsregion Transportprobleme oft sogar noch gemächlicher gelöst.

Maiella heißt das Gegenstück zum Gran Sasso und sie war der erste Gebirgszug, den wir zuerst in Nord - Süd - Richtung durchquert haben. Und weil sie uns so gut gefallen hat, haben wir ihn sie auf dem Rückweg nochmals von Osten nach Westen gequert. Obwohl die höchste Erhebung mit 2.793 m dem Corno grande nicht viel nachsteht, ist der Eindruck dieses Gebirges südlich des Aterno-Tals ein ganz anderer. Wie der langgestreckte Buckel eines Wals erscheint die Maiella, nicht ein einzelner Gipfel sticht hervor sondern man fühlt sich fast erdrückt von einem riesigen Block. Man nimmt sie von jeder Seite als ein ganzes Massiv wahr.

Die Maiella ist viel wasserreicher und grüner als der Gran Sasso. Tiefe Schluchten durchziehen sie vor allem an der Ostseite und sie ist nahezu unzugänglich. Ein Nationalpark ist dort eingerichtet, es gibt nur wenige bewohnte Dörfer. Viele Straßen enden als Stich im Gebirge. Der einzig fahrbare Pass ist der Passo San Leonardo. Aber der lohnt sich!

Begeisternd ist das Maiella-Massiv vor allem auf der Meerseite (Ostseite), wo der Anstieg zum kahlen Gebirge auffallend bewegte Formen zeigt. Kleine Bäche und vor allem die Erosion haben hier eine grün überzogene geschwungene Landschaft geschaffen. Einen Besuch lohnt das Städtchen Guardiagrele. Dahinter beginnen schroffe Kalkfelsen, die von Canyons durchzogen sind - angeblich ein gutes Wandergebiet. Für uns Radfahrer führt eine landschaftlich begeisternde Straße rund um die Maiella bis hoch nach Pescocostanzo.

Bei und um Pescocostanzo gelangt man in eine Hochebene, die einem sehr an die Szenerie der Italo-Western erinnert. Ein abgelegener, aber keineswegs verlassener Bahnhof in einer prärieähnlichen Ebene. Darüber thront das Barockstädtchen Pescocostanzo, eine kleine Perle mitten im Hochgebirge

Sulmona war die einzige Stadt auf der ganzen Reise, in der wir einen ganzen Tag geblieben sind. Und das mit Recht! Die Stadt Ovids liegt in einer Ebene eingebettet zwischen der Maiella Gruppe und den Bergen des Nationalparks. Das lebendige Centro storico strahlt kleinstädtische Eleganz aus, was in dieser armen Region eine Rarität ist. Sulmona lebt mit aber nicht für den Tourismus. Die große Piazza Garibaldi, der mittelalterliche Aquädukt mitten in der Stadt, viele kleinere Plätze um die Fußgängerzone, die abendliche Passeggiata auf dem Corso Ovidio... das ist Italien wie es uns gefällt.

Eine örtliche Spezialität fällt sofort und überall ins Auge: Confetti, farbige Süßwaren. Hunderte von knallbunten Mandelbonbons werden in mühevoller Kleinarbeit zu Pflanzenimitationen zusammengesetzt. Aus den Blumen wiederum bindet man Sträuße, die dekorativ in Geschäften und an Straßenecken angeboten werden.

Öffentliche Brunnen sind ein weiteres Kennzeichen der Stadt, denen man überall begegnet und die rege in Anspruch genommen werden.

Lago di Barrea
Lago di Barrea

Stauseen wie der Lago di Scanno und der Lago di Barrea beide auf ca. 1.000 Meter Höhe gelegen sind die landschaftlichen Attraktionen der südlichen Abruzzen. Besonders malerisch in die Bergkulisse der Marsica eingebettet liegt der Lago di Barrea, in dem wir sogar baden konnten. Die Orte am See dagegen laden nicht zum Verweilen ein. Villetta Barrea ist ein Straßendorf, an Civitella Alfedena ist das Interessanteste ein Wolfsgehege, in dem man nie ein Tier sieht und Barrea selbst ist teuer herausgeputzt, aber wie ausgestorben.

 

Scanno
Scanno

Scanno ist genau das Gegenteil. Am See kann man rasch vorbeifahren. Der Ort hingegen liegt bezaubernd am Hang und hat viel Eigenleben bewahrt. Die Häuser drängen sich dicht um die zentrale Piazza mit schönem Dom. Viele Gässchen lassen den abendlichen Bummel zu einer kleinen Wandertour werden. Lohnt also.

am besten auf dem Balkon?
am besten auf dem Balkon?

Dove possiamo mettere le bici? Wohin mit den Fahrrädern? Jeden Abend das gleiche Theater. Aber selten habe ich so viel über den Unterbringungsort unserer Räder diskutieren müssen wie mit dem Portier des Geschäftshotels in Isernia. Nein, das konnte er gar nicht verstehen, warum ich die Räder nicht in den offenen Hof stellen wollte, wo doch hier garantiert nichts wegkommt. Wer will schon ein Fahrrad stehlen, wo doch jeder ein Auto hat? Auch mit dem offenen Platz unter der Pergola war ich nicht einverstanden, obwohl hier alle Autos stehen, die viel mehr wert sind als so zwei bici. Nach langem Hin und Her hat er sich breitschlagen lassen, sie in den Keller neben der Klimaanlage einzuschließen, nicht ohne mir nochmals zu versichern, wie sicher doch die ganze Gegend sei und wie oft die Polizei hier Streife fahren würde. Noch nicht einmal den Zündschlüssel vom Auto müsse man abziehen, wenn man im Geschäft etwas kaufe. Ich war heilfroh, dass die Diskussion ein Ende hatte und ich unter die Dusche entschwinden konnte.

Des Abends kam mir die Idee, in einem Geschäftshotel müsse es doch einen Internetzugang geben. Ja, sagte der Portier als ich ihn danach fragte, Internet haben wir schon, und deutete auf die leere Ecke der Rezeption, aber letzte Woche haben sie den PC gestohlen!!!

Italien, wie wir es lieben!

Anversa degli Abruzzi
Anversa degli Abruzzi

Verkehrsregeln sind in Italien vor allem dazu da, möglichst nicht eingehalten zu werden. Das muss man auch als deutscher Radfahrer verinnerlichen, sonst ist man in so mancher Notlage aufgeschmissen. Denn die italienischen Straßen sind voll von unsinnigen Anweisungen, Umleitungen und Sperrungen. So hätte z.B. unsere Flucht aus der Bruthitze der Ebene zurück in die Berge beinahe in einem neuerlichen Inferno geendet. An der Ostseite der Maiella wollten wir an einem Tag auf der SS 84 bis nach Pescocostanzo auf 1.400 Hm fahren. Bis Lama hatten wir uns mühselig und bei steigenden Temperaturen auf 700 m Höhe hochgearbeitet und freuten uns nun auf die am Hang verlaufende Panoramastraße. Da treffen wir wie aus heiterem Himmel auf eine Straßensperrung. Wegen Hangsicherungsarbeiten war die Straße komplett gesperrt. Wir hätten abfahren und im Talgrund die Mühe erneut auf uns nehmen müssen - absolut undenkbar. Also schauen wir uns das Problem aus der Nähe an. 2 km lang war nichts zu sehen, dann kam der Baustellenleiter uns im Auto entgegen (es war fast Mittagszeit) und forderte uns gestenreich zum Umkehren auf. Es sei kein Durchkommen möglich! Alles klar, sagen wir und lassen ihn im klimatisierten Auto zum Mittagessen fahren. Als wir an dem gesperrten Teilstück ankommen, finden wir eine Mini-Baustelle vor, auf der 4 Arbeiter mehr oder minder lustlos herumstehen. Es war unschwer zu erkennen, dass diese kurze Strecke von 10 m, auf der Hangsicherungsarbeiten durchgeführt wurden, problemlos mit dem Rad zu passieren ist. Was in Deutschland undenkbar wäre, ist in Italien eine Sache von einem kleinen Schwätzchen. Schnell hatten wir die 4 soweit. Der eine meinte, er mache jetzt ohnehin Mittagspause, der andere gab uns den unsinnigen Rat, langsam zu Fuß zu passieren, der dritte bekreuzigte sich und sandte zwei Stoßgebete zur heiligen Maria, während der letzte sagt: Oh è cosi pericoloso! (Es ist ja so gefährlich) und dann fuhren wir schnell auf die andere Seite der Baustelle. Gott sei dank! Den langen Rest der wirklich schönen, aussichtsreichen Strecke hatten wir ganz für uns alleine und das dazu noch noch ohne einen Höhenmeter abzufahren. (Süd)Italien wie es leibt und lebt.

12 Uhr Mittag und schon fix und fertig!
12 Uhr Mittag und schon fix und fertig!

Üblicherweise wünscht man sich für einen Radurlaub nichts sehnlicher als strahlenden Sonnenschein am besten noch jeden Tag. Das wird sich in Zeiten des Klimawandels wohl ändern. Wir beobachten seit einigen Jahren, dass die sonst so stabilen Monate Mai und Juni auch in Italien immer mehr für extreme Witterungsverhältnisse anfällig sind. Dieses Jahr haben wir in der zweiten Woche eine ondata di calore, - die Italiener haben für alles ein schönes Wort - eine unglaubliche Hitzewelle ertragen und überlebt: Tag für Tag nur, nur, nur Sonnenschein, die Temperaturen stiegen an der Küste auf Werte zwischen 35 und 40 Grad, ein heißer Wind wehte über das Land. Sogar auf 1.000 Hm hatte es weit über 30 Grad, so dass aus dieser eigentlich so schönen Tour mit der Zeit eine Tortur wurde. Wir mussten morgens vor 7 Uhr los, um gegen Mittag den größten Teil der Strecke bereits bewältigt zu haben und irgendwo im Kühlen - wenn es das gab - 2 Stunden Siesta machen zu können. Danach war jeder Kilometer, trotz literweise Acqua und immer begleitet von einem unverzichtbaren Caffe (Espresso) eine echte Zumutung.

Noch nie habe ich in Italien Zimmer danach ausgesucht, ob sie eine Klimaanlage haben. Dieses Mal war kein anderes Überleben möglich.Mehrfach haben wir uns bei langen Etappen auch entschlossen, die Teilstücke in der Ebene mit dem Zug zu überbrücken, um nicht länger als 15 Uhr unterwegs zu sein. Letztendlich haben wir die Tour um 2 Tage abgekürzt. Eine Grenzerfahrung der besonderen Art.

vor dem Monte Sirente
vor dem Monte Sirente

Der Parco Regionale Sirente-Velino ist der dritte Gebirgszug, den wir durchquert haben. Er erstreckt sich südlich von L'Aquila in einem weitläufigen Dreieck zwischen dem Monte Velino (2.487m), der Aternotal mit Sulmona und dem Nordrand der Fuciner Ebene. Der Monte Sirente liegt mitten im Park. Zwischen den beiden Namensgebern entfaltet sich eine karge Hochfläche mit sprödem Reiz und wenig Vegetation. Auf den Wiesenflächen und angrenzenden Berghängen sieht man die Spuren des Wintersportes, im Sommer zieht es hier wenige her. Quer durch die gesamte Hochfläche verläuft zwischen Celano und L'Aquila die SS 5, auf der man bequem an einem Tag dieses Gebiet erkunden kann. Von den Dörfern am Wegesrand fanden wir nur Rocca di Cambio erwähnenswert, nicht wegen der baulichen Substanz, sondern wegen seines Ortsschildes. Darauf wird nämlich der Anspruch erhoben, "il commune piu alto di tutto l' Appenino" (der höchste Ort im ganzen Appenin) zu sein, was nur mit gewissen geographischen Ausgrenzung stimmen dürfte. Aber ein Bisschen angeben darf man in Italien immer.

Termoli mit phönizischem Fischfanggerät
Termoli mit phönizischem Fischfanggerät

Ein Tag am Meer am besten noch in der Mitte der Tour zu verbringen, ist immer unser Bestreben. Dieses Mal war es von der Streckenplanung her problemlos möglich. Nach der Nord-Süd-Querung Maiella - Nationalpark sind wir durch das kleine Molise bis an dessen Zipfel nach Termoli gefahren. Das hätten wir uns sparen können. Das Ziel war den schönen Weg nicht wert. Das Wasser war seicht und lauwarm, nach meinem Eindruck war für Juni schon ziemlich viel los und in einer Touri-Stadt mit wenig Charakter bleiben wir halt nicht gerne. Wir sind dementsprechend auch nur einen Tag geblieben - nicht nur der unerträglichen Hitze wegen.

Blick in die Ebene Richtung Nationalpark
Blick in die Ebene Richtung Nationalpark

Die Fuciner Ebene ist trotz ihrer starken Zersiedelung ein landschaftlich attraktives Gebiet und bietet Abwechslung zu der sonst berglastigen Abruzzenrunde. An der Grenze zu Latium gelegen ist dieser ehemalige See von allen Seiten von Hügeln und Bergzügen umgeben. Der einstmals zweitgrößte Binnensee Italiens wurde im 19. Jahrhundert trockengelegt und dient heute überwiegend der landwirtschaftlichen Produktion. Daneben hat sich vor allem um sein Zentrum Avezzano Industrie angesiedelt. Die schachbrettartige von Straßen und Wegen durchzogene Ebene war dabei für uns relativ uninteressant.

...und nach Norden Richtung Tagliacozzo
...und nach Norden Richtung Tagliacozzo

Wir haben die Höhenzüge, die die Ebene teilen bzw. umgeben, erradelt und überwiegend ruhige Straßen mit herrlichem Fernblick vorgefunden. Besonders lohnenswert ist dabei die Tour über den Hausberg Avezzanos zur Wallfahrtskirche Madonna di Pietracquaria nach Capistrello. Am Wochenende ist jedoch Vorsicht vor den Scharen sportiver italienischer Pilger geboten, die im Sportsdress die Hälfte der Strecke mit dem Auto hochfahren, um oben topgestylt und frisch anzukommen.

Lohnenswert ist die Weiterfahrt über Capistrello ins Val Roveto, an dessen Ende man Tagliacozzo erreicht.

im Nationalpark hinter Scanno
im Nationalpark hinter Scanno

Fahrradfahren mit einem GPS-Navigationsgerät für Autos? Nur etwas für Irre, hätte ich noch bis vor kurzem geantwortet. Aber auf dieser Tour bin ich eines Besseren belehrt worden. Ich hatte zum ersten Mal mein mobiles Medion-GPS-Navi dabei und wollte es vor allem in den Städten nicht mehr missen. Wie oft sind wir früher in einer fremden Stadt herumgeirrt, um ein bestimmtes Hotel, Restaurant oder den Bahnhof zu finden. Alles vorbei! Auch die morgendlichen Weiterfahrten sind viel stressfreier geworden. Ich lasse mich vom Navi durch die Stadt auf die gewünschte kleine Nebenstraße oder in das nächste Dorf führen und schalte das Teil dann aus, da ab dort der Weg meist klar ist. Ich habe es mir einfach in die Lenkertasche gelegt, weil es völlig ausreicht, die Stimme zu hören. Sehr praktisch auch die Umgebungssuche, wenn man abends in der fremden Stadt unterwegs ist und das gewünschte Restaurant nicht findet. Wenn man intelligent damit umgeht, ist es eine Erleichterung, die ich nicht mehr missen möchte.

Kurzes Resümee in eigener Sache: Wen diese Seite und meine Anmerkungen dazu animieren, hier ebenfalls eine Tour zu planen, der schaue sich zunächst einmal meine ausführlichen Kommentare zu den gefahrenen Strecken an. Vielleicht ist diese Eingangsseite zu positiv ausgefallen. Die Gegend ist ohne Zweifel schön. Aber dennoch hat diese Radtour unsere Erwartungen nicht ganz erfüllt. Es fehlten die Highlights. Vielleicht haben wir auch zuviel Abruzzen/Molise in diesen 14 Tagen gesehen. Es wäre besser gewesen, sie in einem Rutsch inklusive des Nordteils (siehe 2005) zu durchqueren statt alle Schlaufen zu fahren, die dort möglich sind. Es war zum Schluss schon etwas monoton und wir haben die Tour dementsprechend um 2 Tage abgekürzt. Nächstes Jahr ist mal wieder eine Strecke im Hügelland dran und bestimmt nicht mehr in der Bruthitze Ende Juni.